12.02.2009

Nähkästchen (Teil 2)

Erste Fortbildungsmodul. Wie alles beginnt.

Sechs Uhr Montag morgen. Zwei Stunden Autobahnfahrt, dann sind wir am Ziel. Die Fortbildungsstätte wacht so langsam auf. Der Pförtner schließt den Schulungsraum auf. Ein erster Blick verrät, dass die vereinbarten Kopien der Teilnehmerunterlagen in einem Karton bereits stehen. Ein zweiter Blick verrät: es sind die Richtigen. Schnell die Signaturseite noch in den Hefter eingelegt. Die Signaturseite ist eine beliebige Seite, die nicht als Original beim Kopiercenter liegt. Sie enthält bei jedem Kurs einen anderen Rechtschreibfehler. So kann man ein wenig genauer nachverfolgen, wann und von wem die Unterlagen möglicherweise (und unerlaubter Weise) kopiert wurden. Einschalten der PCs, einloggen und schauen, ob die Betriebssystemversion auch wie abgesprochen eingespielt ist - und ob das Netzwerk geht. Oh Pech heute morgen. Natürlich das falsche Windows auf den Rechnern. Aber ins Netz gehts. Also schnell die für einen solchen Fall vorbereiteten DVDs ausgepackt, die Netzwerk-Adressen noch gerade notiert und dann per Imagekopie die neue Software auf die PCs eingespielt. Macht 30 Minuten schlechte Laune - dann geht das auch vorbei.

Um 10 Uhr geht es los. Noch eine Stunde Zeit. Kurzer Besuch bei dem Leiter des Fortbildungszentrums: Shaking hands and some smalltalk. Ob ich einen Kaffee mag, fragt die Sekretärin. Das sollte sie so langsam doch wissen: klar! Danach eine schnelle Runde bei allen wichtigen Leuten im Center: Kopierraum, Netzwerk-Admin, und meinen speziellen Freunden. Noch 30 Minuten. Es wird Zeit wieder in den Schulungsraum zurückzugehen und sich auf die ersten Teilnehmer zu freuen. Ein wenig Gesichtstraining: Cheese, Smiling, Chester ... Wenn man nicht in den ersten 3 Minuten ein Strahlemann/-weib ist, dann wird es in der ersten Stunde zäh.

Das erste Gesicht erscheint im Türrahmen. Ja hallo erstmal ... es ist ja so schön heute morgen ... und das Wetter hält auch, was es verspricht ... und wo man denn herkommt und wie die Fahrt so war ... ob man sich schon auskennt hier ... ja die Cafeteria ist noch an der selben Stelle ... Der Nächste steht im Türrahmen ...

In den ersten 3 Sekunden in den Nahbereich per Smalltalk vorstoßen und man kann dir nicht mehr böse sein ... und immer lächeln.

Fünf vor Zehn sind alle 6 Teilnehmer da. Das ist nicht immer so. Manchmal brauchst den ganzen Vormittag, bevor alle da sind. Das ist dann ein ewiges Wiederholen der Zeremonie. Aber was solls. Der Kunde ist ja König. Hihi. Du musst nur schauen, dass die Königreiche untereinander keine Krieg anfangen.

Begrüßungsrunde. Nochmal hallo. Wer was schon einmal hier gewesen, wer ist das erstmal auf Kurs. Erläuterungen, wo was wie wann warum so ist wie es ist. Und dann der obligatorische Sicherheitshinweis: Wenns Feueralarm gibt, dann nicht per Aufzug, sondern direkt aus dem Fenster springen. Haha, war nur ein Scherz. Wo es für kleine Männer und Weiber hin geht, und wer nochmal gerade dahin muss ... Wie es mit den Pausen gehandelt werden soll (Raucher sind ja sowas von nervös) ... alles klar oder hat noch jemand etwas auf dem Herzen? Wann wir am Mittwoch aufhören ... ja am späten Nachmittag ... der Zug geht aber schon früher (??? ach nee Flieger) und man könne eigentlich nur bis ... ob das denn berücksichtigt werden könnte? (Ob ich jetzt den Scherz mit dem Telefonat mit dem Cheffe anbringen soll? - Nee ist noch zu früh und zu direkt, macht eventuell zuviel Stress.)

Ja und nun würde mich schon interessieren, wer wir so sind, was wir hier wollen und vor allem was wir voneinander halten wollen. Jeder stellt sich vor, erzählt was er/sie sonst so macht und ob der PC auch zur Hause auf einem kleinen Altar steht und ihm eifrig gehuldigt wird. Wann man sich so das erste Mal gefragt hat, was denn diese Buchstaben "PC" bedeuten ... haha als man die Windel an hatte, sozusagen mit der Muttermilch ... ach erst vor kurzem, weils bei der Aldina so verlockende Angebote gab und man endlich auch mal in Internet wollte ... nun ja ... aber auf dem Schreibtisch am Arbeitsplatz hat jeder/jede einen eigenen PC? Nicht? Doch! Klar! Und wer weiß schon alles über den PC? Experten vor ... ah, schon mal ein Betriebssystem selbst installiert ... oh, kein Windows, sondern ein Mac ... Linux? Echt? Kubunto? Toll .... Hat sich jemand auf die Fortbildung speziell vorbereitet? Autogenes Training meinte ich nicht ... haha ... nein - keine Zeit gehabt ... notwendig? ... nein, aber wäre halt schön gewesen, wenn .... effektiver das Ganze dann ... ob ich was voraussetzen würde? ... nein ... man darf auch ganz dumme Fragen stellen (sichtliche Erleichterung) und dumme Fragen gibt es sowieso nicht, nur dumme Nicht-Frager ... ich werde über die Fragenanzahl eine Strichliste führen, wer bis Mittwoch die wenigsten Fragen gestellt hat, dem wird der Titel "Dummerchen" verliehen ... ob ich das ernst meine ... klaro ... ... ...

Ich notieren die Rangfolge im Kopf: Wer weiß schon genug, wer wird wohl am meisten Unterstützung brauchen, wer wird sich mit mir reiben wollen ... 99%-Trefferquote. Wenn ich später die Gruppen zusammenstelle, dann wird 1,3 und 4 und 2,5 und 6 zusammen sein. Ja das wird dann passen. Namensschilder schnell aufs Blatt übertragen. Teilnehmerliste rundgegeben.

Was werden wir die 3 Tage zusammen machen? Ich stelle die Themenliste vor und erläutere das Ziel und das Konzept: Praxis, Praxis, Praxis soviel wie möglich. Kopfnicken in der Runde. Und soviel Theorie wie nötig, damit die Praxis auch geht. Wieder Kopfnicken. Und wir halten uns nicht mit langweiligen systematischen Vorträgen auf. Ich stelle Fragen in die Runde. Wenn die Antworten nur so sprießen, dann geht es schnell weiter. So halten wir uns nicht mit Dingen auf, die sowieso jeder kennt und können uns ganz gezielt mit dem auseinandersetzen, was noch nicht klar ist und was neu ist. Wenn es für jemanden zu schnell ist, dann legen wir eine Wiederholungsrunde ein. Und die wird dann jemand machen (ein Teilnehmer), der es schon verstanden hat. Warum? Weil jeder ein wenig anderes erklärt und man so eine andere Sichtweise kennenlernen kann.

Die Agenda halte ich auf einem Flipchart fest, schreibe die ungefähren Dauern der einzelnen Themenblöcke fest und frage dann in die Runde: Haben wir alles? Ist das unser Kurs? Hat noch jemand ein Thema, das unbedingt untergebracht werden muss? Wer hat was gegen diesen Kurs-Fahrplan? Einstimmig! Ok, wann immer jemand das Gefühl hat, dass wir etwas anders machen sollten oder etwas vergessen haben, dann korrigieren wir gemeinsam den Plan. Ach nebenbei, am Mittwoch nachmittag (am Ende der Veranstaltung), wäre der Zeitpunkt, einen neuen Plan aufzustellen, nicht sonderlich produktiv, weil wir keine Zeit mehr hätten ihn umzusetzen. Also wer dann erst feststellt, dass er/sie im falschen Kurs sitzt, der sollte sich jetzt melden (grinsen in die Runde) - Botschaft angekommen? Konsensbildung abgeschlossen.

Das erste Thema handelt von dem, was einen PC zum PC macht: dem Prozessor. Wer kennt denn einen Prozessor beim Namen? Pentium? Intel? Apple? 8088? Atom? Hmm. Sollten wir glatt mal die PCs anmachen und im Internet nachschauen, ob es etwas bei Wikipedia zu diesem Stichwort gibt. *rappel, rappel, fluch* Wo denn der Einschalter wäre ... 10 Minuten später ... Wie sucht man etwas bei Wikipedia? Wer hat schon etwas gefunden? Ach - dann schauen sie doch einfach mal bei ihrem Kollegen nach, wie er das gemacht hat .... ... .... Gibt es irgendwelche Merkmal, wie man das Thema Prozessor einkreisen kann? Takt? 32/64-Bit? Front-Side-Bus? Cache? Hyperthreading? Multi-Core? Die Antworten kommen immer schneller ... ich gehe der Reihe nach bei jedem Teilnehmer vorbei und hole mir ein Stichwort ab ... schön schön ... das Flip-Chart füllt sich. Ein neues Thema wird angeschnitten: RAM. Und auch Motherboard. Bus? Hab ich da North-Bridge gehört? Ich stelle meinen PC auf den Tisch und krame einen Schraubendreher aus meine Tasche. Wer hat schon einmal einen PCs aufgemacht? Wie geht das? Ich drücke jemanden den Schraubendreher in die Hand und fordere ihn auf, den PC zu öffnen. Wir stehen alle um den geöffneten PC herum und ich frage: Wo ist denn der Prozessor? Ein klobiger Ventilator verdeckt den Chip und jemand zeigt darauf und erklärt, dass darunter der Prozessor sitzt. Ich frage: Warum wird ein Prozessor so heiß, dass man einen Kühler braucht. Eine Diskussion über Thermik, Stromverbrauch und grüne PCs beginnt. Ich teile die Bilderbücher aus (Ron Whites visueller Streifzug durch den Computer) und wir blättern via Stichwortverzeichnis auf die Seite mit den Prozessoren. Hübsch - nicht wahr? Ja, da wird auch noch mehr erklärt. Ist allerdings nicht mehr ganz aktuell, aber das Grundsätzliche kann man da nachlesen. Tolle Bilder? Ja, ist ein gutes Buch. Ob man es behalten darf. Klaro, aber nur wenn versprochen wird, es auch zu lesen und es danach zu vererben. Wieso? Weil das kein Bücherregalbuch ist, sondern ein Leserbuch - es will von einem Leser zum anderen weitergereicht werden *vorsichtiges Lächeln* Gleich machen wir unsere erste Pause. Ich denke, wir haben sie und den Kaffee auch verdient. Vielleicht werden wir uns nach der Pause duzen. Ich hab wieder mal Glück: Ist eine tolle Gruppe. Scheint nett zu werden. Naja, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben ...

1 Kommentar:

  1. liebe itari - oder soll ich dich "prozessorhexe" nennen? ;-) was für eine schöne, detaillierte beschreibung. ich lese ja keine trainingsmagazine, vielleicht schreiben ja viele trainer das auf, aber ich fand es sehr originell. und eigentlich wäre es schön, wenn (wir) alle lehrer manchmal so eine geschichte aufschrieben. interessante verzweigungen wären auch (für wissensch. publikationen sogar) was sich zb in den letzten jahren (wenn überhaupt) bei solchen trainings verändert hat. welche auswirkungen jung/alt frau/mann mischung hat usw. wir haben ein paar projektanträge zum thema "lebenslange weiterbildung" laufen, und da fehlen genau solche geschichten & gedanken! toll!

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