29.01.2010

Big Brother und die wirkliche Wirklichkeit

Nein es geht hier nicht um den alltägliche Frustzoff der Bewohner. Sondern um eine Bemerkung eines Blogschreibers:

Das Logo auf dem Fernseher im Wohnbereich (darauf steht „Big Brother“) hat Eva in den ersten Tagen im Haus ziemlich irritiert. Immer wenn sie es angeschaut hat wurde ihr wieder bewusst, wo sie sich befindet. Nämlich im Big Brother-Haus. Und dass sie rund um die Uhr beobachtet wird...

Es zeigt schon auf, dass man sich als Bewohner wie als Zuschauer aus der Realität verliert, weil man irgendwann nicht mehr wirklich wahrnimmt, dass es eine Big Brother-Realität und nur ein solche gibt. Das macht zu schaffen.

Gerade erzählt der Klaus wie er zu seinem Call-Boy-Job gekommen ist. Eigentlich nichts wirklich Schlimmes. Doch schon wird ausgeblendet, wenn die Details vielleicht etwas zu heikel werden. Ich vermute, dass man dem Zuschauer nicht zu viel Realität vor Mitternacht zumuten möchte. Es könnten ja Kinder dabei sein und dann würde es ja schwierig, denen die Feinheiten des Rotlichtmilieus zu erklären (wenn man sie denn selbst weiß). Ja ist eigentlich schon seltsam, dass wir kaum mehr etwas wissen von den heiligen Tempelhuren aus dem alten Testament. Das Buch Moses 1 ist voll davon. Gehörten zum normalen Betrieb des Tempels halt dazu. Der Ort des Geschehens hat sich mittlerweile leicht verändert und auch die Einstellung zum Beruf. Also wirklich nichts Problematisches. Und auch wenn man in Big Brother feststellen darf, dass solche Menschen eigentlich ganz ok sind. Manchmal scheint es mir sogar, dass sie sogar ein wenig mehr drauf haben als die anderen, die normalen ...

Spannend ist es allemal schon, weil ein Call-Boy ja irgendwie etwas mit der Lust der Frauen zu tun hat ... wo man sich doch drauf eingestellt hat, dass es doch eigentlich immer die Männer sind, weswegen es das alles gibt.

24.01.2010

Big Brother-Live-Blogs und die Rechtschreibung

Big Brother ist nun in der 10. Staffel anzuschauen. Big Brother polarisiert: Inhaltlich und konzeptionell. Am liebsten gefällt mir die Aussage: Keiner schaut es sich an, aber alle reden darüber.

Für alle Sozial- und Geisteswissenschaftler ist es natürlich ein innerer Vorbeimarsch: 23 Stunden lang pro Tag kann man empirisch beobachten, wie Mensch sich in einer Gruppe vermeintlich echt oder unecht, gesteuert durch Regisseure und Hintermänner und -frauen für ein spezielles Publikum verhält und unterhält bzw. nicht unterhält. Wobei es nicht wirklich wichtig ist, ob alles nur gespielt, gestellt, echt oder unecht ist. Es stellt sich ja auch nicht die Frage, ob das nur Unterhaltung oder auch mehr ist. Es ist einfach alles. Und weil es komplex und kompliziert ist, und man es als Beobachter auch nicht wirklich durchschauen kann, ist es schwierige Kost. Für alle. Weil jede Analyse auch immer ihr Scheitern enthält. Bei einem Theaterstück wird halt immer erstmal angenommen, dass es ein (Schau-)Spiel ist; ob die Akteure aber auch gerade davon abhängig sind, wird ja beim Zuschauer ausgeblendet. Oder die Frage: Ist ein Schauspieler nur dann ein Schauspieler, wenn das Schauspielen zum eigentlichen Sein geworden ist? Das Leben als Bühne oder die Bühne als Leben?

Bei Big Brother ist alles dabei und jeder, der meinst, es gehe ihn nichts an, drückt sich nur (feige?). Jeder, der meint, es ist ja nur Unterhaltung, vergisst, dass Unterhaltung zum homo ludens wie auch zum homo oeconomicus gehört. Nicht nur die Kunst 'Unterhaltung' zu machen, ist wichtig, auch die Kunst 'Unterhaltung' wahrzunehmen, zu genießen und sich ihrer zu öffnen ist wichtig. Schon seit dem Theater der Griechen (ich greife mal nicht weiter zurück), ist die Ambiguität des öffentlichen Spiels bekannt und als soziale Errungenschaft wichtig. Nicht nur das Schauspiel, sondern auch die Berührung durch das Schauspiel muss erlernt werden. Sehr schön wird das in 'Pretty Woman' gezeigt. Und vergessen wir nicht: auch die Zuschauer wollen gesehen werden und es gibt auch eine hohe Kunst des Theaterbesuchs, mit dem Smalltalk in den Pausen und Séparées, in die man schaut und in denen man gesehen werden will.

Heutzutage gibt es das alles auch und auch ein Knigge, wie man wo und wann was zu tun hat. Und Heutzutage wissen nicht nur die Stückeschreiber, sondern fast alle in der Gesellschaft, wie die Meta-Meta-Meta-Information über alles funktioniert und richtig ausgenutzt werden kann. Man lernt das ja in der Schule, dass ein Stück oder Film oder Filmchen wegen der Werbung gemacht wird *gg* und dass dabei auch noch unterschwellig Botschaften über alles und nichts (letztes ist wirklich interessant) verpackt werden können. Deswegen liebe ich Big Brother, weil dort jeder 'weiß' wie es gemeint ist, aber jeder über ein anderes Wissen verfügt (*das war gerade richtig schön ironisch ... muss ich ja mittlerweile immer dazu schreiben, weil das zwischen den Zeilen lesen, im Web etwas verloren gegangen ist*)

Komme wir aber zu dem eigentlich Neuen. Seit es die Big Brother Tagebücher mit Fotos, inhaltlichen Kurzdarstellungen, Wiedergaben der Dialoge und Kommentierungen in Echtzeit gibt (ist ein neues Genre), erleben wir eine zusätzliche Schleimschicht, die des aufzeichnenden Beobachters. Was wird wahrgenommen, was wird als wichtig eingeschätzt, wer macht Fotostrecken statt Dialoge schriftlich wieder zu geben - wie wird die Präsentation durch gleichzeitige Niederschriften von Beobachtern untereinander verarbeitet. Spannend. Wenn man auch noch bedenkt, dass diese Tagebücher Hunderttausende von Klicks erzeugen, ist das schon bombastisch. Wer mal einen Eindruck erhaschen möchte, hier ist der Link zu einem solchen Big Brother Tagebuch.

Lernt man eigentlich mittlerweile in der Schule, wie man solche Tagebücher führt? Wie man Beobachtungen notiert? Wie man kommentiert und sich mit anderen über unterschiedliche Wahrnehmungen austauscht? Erlebnisaufsatz in anderer Form? Während meiner Schulzeit wurde nur ansatzweise die Kunst des Protokollführens gelehrt. Weder in den naturwissenschaftlichen Fächern, noch im Sprachenunterricht (Deutsch, Englisch, usw.) war das wirklich ein Thema. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass irgendein Mathe-Lehrer die Kunst des Protokollierens einer Berechnung oder eines Beweises auch nur ansatzweise unterrichtet hat. Nur im Kunstunterricht mussten wir ernsthaft die Besuche der Kunstausstellungen protokollieren.

Später habe ich oft in Seminaren Manager darin unterrichtet, wie man Ergebninslisten-orientierte Protokolle schreibt, weil sie überhaupt keine Ahnung in der Protokollführung von Besprechungen haben. Aber das zeigt halt nur auf, dass wahrscheinlich eh keiner der Lehrer oder Professoren Ahnung über die Wichtigkeit von eher handwerklichen Dinge hat und so etwas auch nicht weitergeben kann.

Doch zurück zum Thema dieses Blogbeitrags: '... und die Rechtschreibung'. Wenn man solche Big Brother-Live-Blogs liest, dann erkennt man sehr hübsch, wo und welche Rechtschreibprobleme in der Schule ungelöst sind. Groß- und Kleinschreibung ist ein ganz wesentlicher Punkt. Auch die richtige Schreibung häufig verwendetet Anglizismen oder der Fremdwortschatz sind arg übungsbedürftig. Es ist auch klar, dass die Fehlleistungen voll auf die schlechte Unterrichtsqualität in den Schulen zurückgeht. Selbst in den besten deutschen Zeitungen oder Magazinen, welche sich im Web mit Beiträgen verbreitern, sind fast regelmäßig Rechtschreibfehler enthalten. Es ist wohl so, dass man des Deutschen nicht mehr mächtig ist. Und das es wohl auch nicht mehr so wichtig ist. Warum ist das eigentlich so?

P.S. Cora, wir lieben dich

P.P.S. Cora, gibt deinem Hauself Dobby die Socke [16.3.2010]

06.01.2010

Silberhorn

Ich bekenne gerne: Ich mag die Bücher von Wolfgang Holbein.

Bin gerade mit dem Titel 'Silberhorn' durch. Mal wieder spielt es in einem Internat; diesmal in einem ganz besonderen, exklusiven, aber etwas verzauberten Internat. Und jetzt kommen die pädagogischen Momente: Für jeden betuchten Schüler muss man einen weniger betuchten kostenlos aufnehmen. So der Gründervater des Internats. Das ist doch mal was Spannendes zur Bildungsreform - Patenschaften einmal ganz praktisch.

Auch sonst gibt Interessantes: die Schüler siezen die Lehrer während der Schulstunden; danach wird geduzt! 6 Stunden Unterricht, dann freie Beschäftigung, z. B. Reiten, weil das Internat ist auch ein Reiterhof. Oder Schwimmen. Oder einfach den Unterrichtsstoff nacharbeiten.

Bücher gibt es nicht; dafür einen eReader, der allen Lesestoff in sich abgespeichert hat. Hefte gibt es nicht; dafür hat jeder Schüler/jede Schülerin einen Tablet-PC. Das ist aktuell, weil just diesen Monat (Januar 2010) sich alle Hersteller überschlagen mit den Ankündigungen von eBooks/Tablets/iSlates. So stell ich mir das auch richtig vor, kann es noch was mit der PCisierung der Schule werden.

Ansonsten gibt es im Internat noch: Abgeschiedenheit bis zum Geht-Nicht-Mehr - das bringt Gruppendynamik vom Feinsten hervor. Und jedem Schüler sein persönliches Zimmer; die echte Chance zum Rückzug ins Private. Die Mensa wird zum Parlament a la Summerhill. Und dann gibt es noch das kollektive Tabu: Finger weg von den Bilder mit den Einhörnern. Super! Erinnerungen an die Genesis werden wach: Wie emanzipiert man den Menschen, damit er fähig wird zum Sündenfall (der Mensch gewinnt seine Selbsterkenntnis), man setzt ein strenges Tabu und hoff auf individuellen Ungehorsam. Ich liebe diese Pädagogik. Mein bester Klassenlehrer hatte das auch drauf: Er brachte die Klasse gegen sich auf und wir haben uns emanzipiert in der darauf folgenden Zeit ... Schülerrat, Schulstreik, Absetzung des Direktors ... ach was waren das herrliche Zeiten. Nie mehr ducken, nie mehr Angst vor Autoritäten. Ich bin ihm bis heute dankbar. - Ja es war auch ein Internat ...

Jetzt müssen wir nur noch das pädagogische Element für das 'schlichtenden Einhorn' (namens Silberhorn, um das es im Buch ja geht) finden. Welche Rolle spielt das Einhorn? Warum muss es sterben? Ich glaube, alle große und kleinen Pädagogen wie Rousseau und Makarenko hatten auch ihre Einhörner ... das Leben spielt hat so, dass man seinen Prinzipien nicht immer treu bleiben kann. Auch das ist eine weise und tiefe Einsicht: Nichts ist für die Ewigkeit und nichts ist immer wahr ...

Heute morgen gab es im TV einen Disput zwischen zwei befreundeten Intellektuellen (Harald Lesch und Thomas Schwartz) zu Thema: "Sind wir allein im Universum oder fühlen wir uns nur einsam im Kosmos?". Der Physiker spricht ein Szenario an: Wenn es im Weltall nur recht wenig Atome gibt und der Raum eigentlich eher 'leer' ist und es nur ganz selten dazu kommt, dass sich Atome zu größeren Molekülgruppen zusammenschließen und wiederum nur ganz selten daraus Leben entsteht ... und nur unter ganz ganz seltenen Umständen intellektuelles Leben entsteht, dann stellt sich die Frage, ob es irgendwo im Weltall wirklich noch einmal menschenähnliche Lebensformen gibt. Wenn wir annehmen, dass das fast auszuschließen ist, wir also 'alleine im Universum sind', dann ist menschliches Leben so einzigartig, dass man es wie ein rohes Ei behandeln müsste ... sind wir zu dieser Erkenntnis und Verantwortung fähig?

Ach ja, physikalisches Staunen und Neugier sind auch etwas Pädagogisches. Wenn man dies also noch ausleben will, hier kann man dazu etwas lesen, bevor man sich das eher märchenhafte 'Silberhorn' zu Gemüte führt.

 
(c) 2008 by 至 Itari