19.12.2008

Ich twittere, also bin ich - Teil 4

Wenn ich nicht twittere, bin ich dann nicht? Bin ich? Bin ich nicht? [Matrix 2]

Wie macht man jemanden klar, dass er fürs 'richtige' Twittern Follower braucht und auch followen sollte? Wem sollte er folgen? Wer sollte folgen? Klar gibt es Tools, die einem verraten, welche Gefolgschaften sinnvoll und erfolgsversprechend sind. Und es gibt auch Hinweise, dass wenn man jemanden folgt, er/sie (aus welchen Gründen auch immer) zurückfolgt. Natürlich gibt es auch das aktive Suchen nach Stichworten oder das Sich-bekannt-machen per Reply. Irgendwie bleibt immer was hängen im Netz. Erinnert mich an einen Messe-Verkaufstrainer mit seiner Schleppnetz-Masche.

Aber mal Hand aufs Herz. Wenn man sich so manchen Twitterer bzw. Twittererin (es sieht ja fast so aus, als gäbe es eine 50-50-Verteilung - weiß da jemand was Genaueres?) ansieht, mit Hunderten von Verfolgern oder Verfolgungen, das kann schon deprimieren. Was da eine Zeit und Motivation zu gehört, um das zu erreichen. Und die meisten Twitter-Friends tweeten ja nicht nur, sondern bloogen, facebooken, foren und haben was weißt ich für viele social contacts an allerlei Stellen. Manche Twitterer haben sich dem Thema sogar professionell angenommen und schildern wie wild, wie die Web-Personality gepflegt sein muss, damit man auch ja dazu gehört. Also das ist schon ein Menge und so ganz nebenbei geht das nicht.

Kannst dir vorstellen, wie das auf jemand Neuem wirkt. Erschlagend. Frustrierend. Und es gibt auch keine "Selbsthilfegruppe" oder ähnliches zum Eingewöhnen. Das ich nicht ganz alleine mit dieser Meinung bin, kann man in diversen Foren nachlesen: "Wie erreiche ich den Mensch 1.0?" wird da sinngemäß gefragt. Und als durchaus richtige Analyse folgt dann, dass man ja erst im Tun nach einer Weile den Sinn erkennen kann, den Durchbruch im Verstehen finden kann. Wenn er denn wirklich kommt und nicht vorzeitig abgebrochen wird. Schlenker: Die Gamer haben das oft geschickt durch ihre Probe/Erst-Instanz im Griff. Da kannst sehen, ob dir das Spiel gefällt und wirst auch nicht durch High-Level-Chars irritiert. Man ist halbwegs unter sich und kann tagelang erkunden, was den Reiz des Spiels ausmacht. Klar ist nicht alles so glatt, denn auch da wird geworben und mit Gildengeschenken um sich geworfen. Aber die Welt bleibt überschaubar - und das ist für den Anfänger wichtig!

Anderes Feld.

Wie kann man wirklich noch den Überblick behalten, wenn einem 200 oder mehr Leute folgen? Wenn es die Metapher "Großraumbüro" wirklich gibt, dann frag ich mich, ob ich je die Namen aller Leute und deren Wesen (Funktion, Stelle, Bild usw. ) je merken könnte. Geschweige denn mir irgendwas Spezifisches dazu merken. Ja wenn ich den lieben langen Tag immer mit Ihnen zu tun hätte, dann würde es was werden, aber bei 500 oder ganr 2000 - nee, nie im Leben. Was macht also den Reiz aus, möglichst viele Tweeds zu konsumieren? Oder verfolgt man die dann gar nicht mehr? Dann bräuchte man sich ja auch nicht in Gefolgschaft zu üben. Oder ist das nur ein Gradmesser für irgendein Popularitäts-Ranking? Oder glaubt jemand ernsthaft, die Leute würde auf den Pups warten, den man gelegentlich von sich gibt? Irgendwas stört mich an diesem Verlangen nach Vielen. Es ist nicht echt und nicht wirklich. Wenn ich meine Kommunikationsverhältnisse anschaue (jaja, auch Visitenkarten werden von mir mindestens einmal im Jahr durch sortiert), dann sehe ich Bilder von Begegnungen und Gesprächen vor mir und kann etwas damit verbinden. Aber das ist garantiert nicht das Großraumbüro-Geschwätz (um dieses Bild noch einmal zu bedienen).

Um eine Abbildung meines Kommunikationsvermögens herzustellen, darf es erstens nicht zuviel technischen Aufwand geben (technisch in dem Sinne, dass ich nicht an 1000 Stellen in irgendeiner Form meine Präsenz zeigen möchte und nun nicht noch selbst für die wechselseitigen Bezüge sorgen muss, die ich dann nicht ohne Aufwand dynamisch steuern kann) und ich muss die Möglichkeit haben, verschiedenen Ebene/Kanäle für mich zu definieren, die den unterschiedlichen Beziehungen auch entsprechen. Ich habe nun mal keine persönliche Beziehung zum Spiegel oder der FAZ und möchte zwar mit Informationen bei Bedarf versorgt werden (wie Google news aggregation), aber nicht immerzu damit beworfen/betwittert werden. Wer will sich das antun? Das gleiche gilt für viele andere Beiträge von Leuten, die ich manchmal verfolgen möchte, manchmal nicht und manchmal einfach nur als Verdichtung haben möchte. Ich habe das alles schon einmal erlebt mit der Einführung von E-Mails in Unternehmen. Auch da haben sich die Leute gegenseitig auf Verteiler gesetzt und zugespammt. Irgendwann kann dann die Erleuchtung, dass man nicht mehr alles mailt ... naja beim größten Teil *gg*.

Meine Vorstellungen werden bestimmt auch noch in Twitter irgendwann erfüllt werden. Solange ist es aber nur ein Spaß für ein paar hunderttausend (???) Ambitionierte*, aber kein Modell für alle. Und der Langzeit-Spaß ist noch nicht wirklich erwiesen, es ist ja erst die Avangarde dabei.
*) ich meine damit nicht die bei Twitter angemeldet sind, sondern die tatsächlich twittern.

Also bin ich auch, wenn ich nicht twittere? Oder nicht?

6 Kommentare:

  1. "man muss sich davon verabschieden die Übersicht behalten zu wollen" ... dies als Zitat von cspannagel bei unserem letzten Gespräch über das Twittern. ;)
    Bezugnehmend auf die Anzahl der Follower sehe ich das ganze etwas entspannter. Manche Twitterer sind eine echte Bereicherung und denen followe ich gern. Übrigens lese ich deine Statements sehr gern. :) (keine Überraschung... g) Und wer spamt der fliegt von der Liste.
    Und jetzt der Unterschied zum Chatverhalten bei Online-Games und Twitter. Im Game benutze ich die Ignore-Liste eigentlich nie. Bei Twitter arbeite ich nebenher und kann Spam nicht gebrauchen. ;) (Andersrum wird ein Schuh draus, beim Arbeiten twittere ich nebenher... tsää, freudscher).
    Die Frage nach "also bin ich auch, wenn ich nicht twittere? Oder nicht?"
    Ich zitiere einfach mal: "Dann wirst du sehen, dass nicht der Löffel sich biegt, sondern du selbst."
    Wenn sich jemand sein Sein über Twitter definiert, wird er sich unweigerlich biegen. Anders gesagt, wisse wer du bist und identifiziere dich. Ich halte viel von Authentizität. Sowohl online, als auch offline. Wer mich kennt, könnte in mir Lesen... bei Bedarf. Natürlich nicht mehr ganz so frei, wie vor 10 Jahren. Auch ich habe mir Mauren hochgezogen, die sinnvoll schienen. Eine Reflektion über Jene benötigen einen Außenimpuls, sonst sind sie einfach vorhanden.
    Aber ich schweife ab...
    Ich stimme dir zu, es müsste eine Anfangssequenz für Neueinsteiger geben. So ein: hier lernst du die Bedienung und die Möglichkeiten. (Und bitte unterhaltsam... gähn) ;)
    Aber davon sind wir wohl noch weit entfernt... und wer weiss, ob twitter nur eine Momenterscheinung ist, oder sich über die Jahre hinweg hält.

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  2. Nachtrag: natürlich hab ich mir keine Mauren hochgezogen, sondern Mauern ^^

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  3. wir beide wissen sowieso wie es gemeint war - je nach Tageszeit sind die einen oder die anderen im Weg ;)

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  4. Ich followe momentan 478 twitterer (hab grad mal nachgeschaut). Und wie mache ich das? Ich schaue ab und zu und immer mal wieder in twitter, wer so in den letzten 15 Minuten was gesagt hat. Vieles geht mir dabei durch die Lappen. Und? Völlig egal. Mir kommt es auf die alltägliche Einbettung in ein Netz aus vielen interessanten Menschen an. Es geht nicht darum, alles mitbekommen zu wollen. Ich will ab und zu interessante und kreative Gedanken lesen und evtl. einen spontanen Kurzaustausch haben. Damit bin ich völlig zufrieden. Man muss sich davon verabschieden, die Übersicht behalten zu wollen. :-)))

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  5. hi Chris,
    ich nehme dir diese Beliebigkeit nicht wirklich ab, denn das würde bedeuten, dass du Menschen (denen du folgst und die dir folgen) und die Kommunikation mit ihnen nicht schätzt. Ich habe ja gerade eher die gegenteilige Erfahrung mit dir gemacht, dass du sehr sensibel Dinge wahrnimmst.

    Oder willst du vor dir selbst ein Star sein, der nicht mehr wirklich seine Fans (und du hast eine Menge - ich hab sie mir alle mal angesehen) wahrnimmt?

    Und - ähm - versuchst du nicht gerade deine Übersicht durch Verabschiedung von der Übersicht zu behalten. Wenn ich dich richtig verstehe, willst du dich ja nicht im Twittern verlieren und hast also eine Strategie des Kursorischen hierfür entwickelt, damit du noch die Übersicht behältst.

    Noch eine Bemerkung am Rande: Du bist in Twitter nicht wirklich undialogisch wie so manche, und deine Friends sind es beileibe auch nicht. Meine These vom world-chat-channel bestätigt sich immer mehr. Ich mache daher mit meinem Experiment weiter.

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  6. Es ist wirklich so: Ich nehme vielleicht 5-10% von dem wahr, was in meinem Netzwerk passiert. Ich kann überhaupt nicht alles verfolgen (dafür fehlt mir die Zeit). Das bedeutet aber nicht gleichzeitig Geringschätzung oder Nicht-Wahrnehmen-Wollen. Ganz im Gegenteil: Ich nehme mir 30-40 mal am Tag die Zeit, einmal zu schauen, was alle anderen so machen. Aber eben ohne den Anspruch, alles mitbekommen zu können. Insofern will ich auch nicht die Übersicht behalten - ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, was du mit "versuchst du nicht gerade deine Übersicht durch Verabschiedung von der Übersicht zu behalten" meinst. :-)

    Ich bin natürlich auch dialogisch. Aber es sind (und genau das sage ich immer) nur kurze Wortwechsel. Wer chattet, wird hingegen durchaus schon mal Gespräche führen, die eine Stunde lang intensiv geführt werden. Sowas mache ich über twitter nicht.

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