13.02.2009

Kennen und Vertautsein

"Sage mir, mit wem du Umgang hast, und ich sage dir, wer Du bist."

Schönes Sprichwort. Enthält eine Wahrheit. Stammt aus einer "langsamen Zeit"; also einer vergangenen Zeit, wo die Lebensumstände und -entwicklungen langsam vonstatten gingen. Wo der Mensch am Morgen wusste, was er am Abend machen wird. Wo er in seiner Jugend den Grundstock für sein Leben und sein Alter legte. usw. usw.

Das Sprichwort müsste man ein wenig verändern, damit es besser in die heutige Zeit passt (es würde natürlich auch in der Vergangenheit seine Gültigkeit behalten, der Blickwinkel wäre nur anders): "Zeige mir, mit wem du deine Kommunikation pflegst und ich sage dir, wer du werden wirst."

Kommunikation verändert uns. Wir lernen hauptsächlich Neues, Einstellungen, Haltungen, Kenntnisse durch Kommunikation. Die Medienwelt hat Einfluss auf unser Leben bekommen. Die meisten Menschen kommunizieren nicht mehr direkt, sondern über Kommunikationsmittel. Wir haben zu viel mehr Kommunikationspartnern Verbindungen als in früheren Zeiten es je war. Die Welt ist vielfältig und wir müssen sie erlernen, um sich in ihr zurechtzufinden. Diese Anpassungsleistungen verändern uns ständig. Wir verändern uns.

Lernen wir jemanden kennen, dann wissen wir etwas über ihn und machen uns ein Bild über die uns wichtigen aber fehlenden Dinge. Nach einem Prozess des Abgleichens stellen wir fest, dass unser Bild stabil bleibt und wir prognostizieren, dass es auch in (naher) Zukunft so bleiben wird. Diesen "Kennen" als Basis erzeugt ein "Vertrautsein" mit dem anderen. Unser kognitiver Dissonanz-Apparat verzaubert uns ab dann, die neuen Informationen über den Anderen so zu filtern, dass wir uns in unserer Meinung bestätigt fühlen. Erst wirklich große Abweichungen werden als Abweichung wahrgenommen, denn wir möchten uns in unserem Bild vom Anderen nicht selbst enttäuschen. So stabilisiert sich die Vertrautheit selbstregulierend.

Wir verändern uns. Alle anderen auch. Es ist völlig klar und normal, dass dies so ist. Es ist auch völlig klar und normal, dass wir irgendwann einmal an die Grenzen unserer Vertrautheit mit anderen stoßen; sie werden wieder "fremd" für uns. Manchmal enttäuschen sie uns dadurch. Nein eigentlich enttäuschen sie unser Bild und unser Stimmigkeitsgefühl über das Bild von ihnen. Auch umgekehrt passiert dies: Wir werden fremd für andere.

Manchmal wird man von der "Fremdheit" positiv überrascht und man genießt sie. Man hat sich zusammen (weiter-)entwickelt. Manchmal ist die "Fremdheit" verletzend: "so kannte ich dich ja bisher noch gar nicht".

Manchmal wird jemand nicht fremd: "Herr K. traf  B. nach 20 Jahren wieder. B. war immer noch der alte - er hatte sich gar nicht verändert." Dann wird es ganz schlimm.

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